Vorsatzgashülsen und Sonderpatronen - Nutzungserweiterung und Wirkungssteigerung bei Schreckschußwaffen

  • Bis Ende der 70er Jahre stand den Besitzern von Gaspistolen nur der Wirkstoff CN ( Chloracetophenon ), das bekannte Tränengas, zu Verteidigungszwecken zur Verfügung. Da CN nur auf die Schleimhäute wirkt, benötigt man eine größere Menge dieses Wirkstoffes, um eine ausreichende Wirkung hervorzurufen.
    In den Zeiten waren die kleinen 6 mm Pistolen mit Stangenmagazin weiter verbreitet als heute und wurden auch häufig, da günstig in der Anschaffung, sehr zuverlässig in der Funktion und sehr handlich, geführt. Nun hauen 85 mg CN je 6 mm Patrone ( 95 mg CN in der Wadie Supra ) niemanden um, geschweige denn halten ihn vom Angriff ab.

    Selbst bei den größeren Kalibern 8 mmK und 9 mmR bedurfte es mehrerer Schüsse, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen. Und dies bei Patronen mit folgender Maximalladung:


    Das führte in den 60er Jahren zum Beispiel dazu, daß Korth, ein bekannter Hersteller von erstklassigen Revolvern, für seine Gasrevolver bei RWS CN-Gaspatronen fertigen ließ, die etwa 1.500 - 2.000 mg CN enthalten.
    Da diese Menge CN nicht in die 9 mmR Hülse passt, wurde einfach statt des Korkdeckels mit roter Lackversiegelung eine vollständig mit CN gefüllte Kunststoffkappe auf die mit 500 mg CN geladene Gaspatrone gesetzt. Das machte die Patrone so lang, daß sie sich nur in Korth-Gasrevolvern oder in scharfe 9 mm / .380 Revolver laden lässt.

    Hier zum Vergleich mit einer normalen 9 mmR CN-Gaspatrone, wie sie von RWS für Wadie gefertigt wurde ( mit 500 mg CN :(

    Für die 6 mm Pistolen und Revolver wurden andere Wirkungsverstärker ersonnen, die zwar die Gasmenge erhöhten, aber die Reichweite von ca. 1 Meter bei 6 mm Flobert gleich ließen. Während bei EM-GE auch mit einer Gaspatrone die Vorsatzgashülse gestartet werden konnte, mußte es bei den Röhm und ME Vorsatzgashülsen zwingend eine Platzpatrone sein.

    In den 50er/60er Jahren war EM-GE auf dem Gebiet besonders kreativ und beließ es nicht nur bei Vorsatzhülsen mit zusätzlicher CN-Ladung, sondern entwickelte ein ganzes Programm mit verschiedenen Patronensorten, welche aus der damaligen 6 mm Pistole EM-GE 6 A verschossen werden konnten.

    Hier Vorder- und Rückseite eines dieser Beipackzettel, welche, egal des Inhaltes auf der aussenliegenden Fahne, gleich sind:

    Folgend ein paar Beispiele aus dem damaligen EM-GE Programm der 50er bis Anfang 70er Jahre. Leider geben weder Verpackung noch Beipackzettel eine Auskunft über Wirkstoffart und -menge bei den Insektpatronen ( meiner Vermutung nach ist es DDT, geschätzt 50 - 80 mg je Patrone ) und keine Wirkstoffmengenangabe bei den 7 mm CN-Vorsatzhülsen ( geschätzte 200 - 300 mg CN je Hülse ).

    Insektpatronen, 6 mm Flobert, hergestellt bei RWS

    Als Nächstes die 7 mm Gaspatronen ( CN-Vorsatzgashülsen aus lackierter Pappe mit Pappverschluß an beiden Seiten ), welche in den Lauf gesteckt werden und mittels einer Platz- oder CN-Gaspatrone gestartet werden. Nach dem Schuß verbleibt die leere Papphülse im Lauf der 6 mm Pistole. EM-GE bot diese 7 mm Gaspatronen als 6er Pack in der Dose oder als Gas-Kombination mit 6 mm CN-Gaspatronen an.

    7 mm Gaspatronen

    Gaskombination 6 mm / 7 mm ( eine 7 mm Gaspatrone fehlt )

    EM-GE 7 mm Gaspatrone in EM-GE 6d

    7mm und 9 mm Leuchtraketen ( Abschuß mit Platzpatrone )

    Für die 6 mm Pistolen von Röhm wurden in den 50er Jahren ebenfalls Vorsatzgashülsen gefertigt. Deren Inhaltsmenge an CN ist ebenfalls unbekannt, dürfte aber sich um die 300 mg CN bewegt haben. Im Unterschied zu den EM-GE Vorsatzgashülsen ist die Hülle der Röhm Vorsatzgashülsen aus gerollten Eisenblech.
    In den 70er bis Anfang der 80er Jahre fertigte Wadie Diefke für Röhm Vorsatzhülsen aus Kunststoff, ähnlich den nachfolgend vorgestellten ME-Vorsatzgashülsen. Die Röhm-Vorsatzgashülsen zum Einschrauben enthalten 500 mg CN, leider kann ich da nur mit einem Bild aus dem Buch " Verteidigen mit freien Waffen - Schreckschuß und Gas", von J. Münstedt, 2. Auflage 1984, dienen.

    Röhm Gaspatronen ( Vorsatzgashülsen ) 50er Jahre

    Röhm Gaspatrone in Röhm RG 3s

    Röhm Vorsatzgashülse von Wadie mit 500 mg CN ( Bild aus oben genannten Buch ) 70er - 80er Jahre

    In den 70er bis erste Hälfte der 80er Jahre fertigte Wadie Diefke für ME die ME-Spezial-Vorsatzgashülsen für die beiden 6 mm Revolver 70 GS und 80 GT/S. Diese Vorsatzgashülsen enthalten je Hülse 250 mg CN und werden mit einer 6 mm Platzpatrone gestartet.. Die Hülse muß nach dem Schuß aus dem Lauf rausgeschraubt werden.

    ME-Spezial-Vorsatzgashülsen

    Als in der ersten Hälfte der 80er Jahre gesetzlich zulässige Höchstgrenzen für die damals bestehenden Wirkstoffe CN und CS beschlossen wurden, war es endgültig vorbei mit den Vorsatzgashülsen und anderen Methoden zur Wirkstoffmengensteigerung. Allerdings hatte zu dem Zeitpunkt der Mengenbegrenzung der damals neu eingeführte Wirkstoff CS dem alteingeführten CN samt Wirkstoffmengensteigerung mittels Vorsatzgashülsen, etc. schon den Rang abgelaufen.

    Für kurze Zeit waren noch ein paar Kuriositäten wie die Insektpatronen oder die, bisher nicht angesprochenen, Parfümpatronen ( in der Art wie Stinkbomben, in 6 mm Flobert und 8 mmK ) im Handel. Wegen der deutlich stärkeren Wirkung von CS gegenüber allen anderen Abwehrstoffen und dem Verbot von DDT und anderen Insektengiften verschwanden auch diese Kuriositäten noch in den 80er Jahren aus dem Handel.

    Dieser Bericht hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn dazu ist die Vielfalt dieser Vorsatzgashülsen und Sonderpatronen zu groß.